7. Einflüsse des Etana-Mythos
In verschiedenen Keilschrifttexten erscheint Etana in der Unterwelt oder wird als Unterweltgottheit angerufen. Wie Etana in die Unterwelt gelangt ist, ist unklar, es wurden darüber bisher keine Keilschriften gefunden. In Etana findet sich damit das Motiv des Vegetationsgottes wieder, der in frühpatriarchaler Zeit der Großen Göttin, die ursprünglich Herrscherin über den gesamten Lebenszyklus war, als Sohngeliebter zur Seite gestellt wurde. Er symbolisierte die absterbende Natur, die im Frühjahr auferstand. Der König nahm während der Heiligen Hochzeit seine Funktion an. Die Macht des Königs musste im Ritual jährlich bestätigt bzw. erneuert werden.
Etana erscheint
noch einmal in einer
spätakkadischen
Fassung des sumerischen
Gilgamesh-Epos,
das
mit seiner
ältesten
Fassung als älteste Aufzeichnung eines Mythos gilt. Im Text "Tod
des Gilgamesch"
träumt Gilgameschs Wegbegleiter Enkidu von der Unterwelt:
"Wo ich eingetreten, im Hause des
Erdstaubs,
Liegen am Boden die Königsmützen,
Die Fürsten, die Träger von Königsmützen,
Die seit der Vorzeit das Land beherrschten,
Die Stellvertreter von Anu und Enlil
Sie tragen auf gebratenes Fleisch,
Tragen Gebäck auf, kredenzen aus Schläuchen kühles Wasser.
Wo ich eingetreten im Hause des Erdstaubs,
Wohnen Hohepriester und Opferhelfer,
Wohnen Reinigungspriester, Geweihte,
Wohnen die gesalbten Priester der großen Götter,
Wohnt Etana, wohnt Sumukan,
Wohnt Ereschkigal, die Königin der Erde:
Beletßêri, die Schreiberin der Erde, kniet vor ihr,
Sie hält eine Schreibtafel und liest
ihr vor.
Sie wandte ihr Haupt und erblickte mich
Da nahm sie diesen ... hinweg."1 (Hervorh.
v.d.V.)
In beiden Epen finden sich nun gleiche und verwandte
Motive. Der Etana-Mythos beschreibt als erste Quelle eine Himmelfahrt.
Diese Parallele zur Himmelfahrt Jesu ist beispielhaft für viele andere
in die Bibel übernommene
Motive aus Mythen des Zweistrom-Landes bzw. Kleinasien. Das christliche Fest
Maria Himmelfahrt, auch "Frau-Tag" genannt, geht ebenso auf das Motiv zurück.
Maria Himmelfahrt wird auch als Kräuterweih (andere Namen sind Schnitterinnen
oder Lammas) gefeiert. An diesem Tag werden sog. Buschen mit mindestens 7
heilkräftigen Kräutern geweiht, die v.a. auch gegen Unfruchtbarkeit wirken
sollen. Maria
darf auf päpstlichen Beschluss nicht Göttin sein. Kann ihr das nicht egal
sein? Die Auferstehung des Etana als Vegetationsgott wurde ebenfalls auf
Jesus projiziert.
Der Etana-Mythos lebt bis in die heutige Zeit nicht nur in der Bibel
weiter. Unzählige Märchen aus ganz Europa, Vorderasien und sogar
bei den
Inuit Nordamerikas
enthalten Etana-Motive. Die Sammlung
dieser Märchen läßt eine lineare Ausbreitung über Vorderasien, Russland,
Finnland
bis
nach Lappland 2 nachzeichnen. Hier
werden die zahlenmäßig meisten Märchen erzählt. Es wurden Märchen
gefunden, die noch wortwörtlich
Teile des alten Textes, vor allem der Flugszene, enthalten. Märchen,
die von einem Flug mit dem Adler
3 berichten, von helfenden Tieren
oder sprechenden Schlangen, die von Menschen verstanden werden, etc.
können daher als Etana-Märchen
(Terminus Technicus) bezeichnet werden.
[1] Aus Quelle 8.
[2] Aus Quelle 6.
[3] Im Bild oben zeigt der Abdruck eines Rollsiegels (Ausschnitt)
Etanas Flug auf dem Adler.
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