Anatolien 2002 - Gefäß aus Catal Höyük  

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Ein Reisebericht
mit Bildern

von Gabriele Uhlmann


Die Nacht kam schnell und ohne Sonnenuntergang...

Am Nachmittag gestartet flogen wir nach Südosten der Dunkelheit entgegen. Hinter uns ging die Sonne unter, als hätte sie es eilig. So landeten wir bei tiefer Dunkelheit gegen halb 8 MEZ/Sommerzeit in Istanbul zwischen, wo es schon eine Stunde später war. Das Flugzeug der Turkish Airlines rollte bis zum Technik-Hangar, was mich stutzig werden ließ. Waren wir knapp einer Katastrophe entgangen?

Mit einem superbreiten Bus wurden wir zum Terminal gefahren und nach einigen Formalitäten ging es weiter im Flugzeug nach Ankara...


Gefäß aus Catal Höyük 1. Woche



 


Daten: Hinflug von Hannover
2. September 2002,
Rückflug am 16. September 2002
von Adana
Veranstaltet von FABL e.V.

Ziele: Museum für anatolische Archäologie Ankara · Tumulus des König Midas · Gordion · Catal Höyük · Archäologisches Museum Konya · Alaca Höyük · Hattuscha · Yasilikaya · Kappadokien · Felsenkirchen · Unterirdische Stadt · Nemrud Dagh · Tarsus/Geburtsort des Apostels Paulus · Burg Silifke · Göksu/Sterbeort Barbarossas · Cennet/Cehennem · Narlikuyu · Kanlidivane · Diocaesarea · Olba ·
Silifke, Martyrium der Heiligen Thekla · Kizkalesi Mädchenburg/Vaterburg
Karte von Anatolien - Ankara - Gordion / Tumulus des König Midas

Ankara, die große Unbekannte, die Gesichtslose.

Erstes Ziel ist also Ankara, Hauptstadt der Türkei und mit 8 Millionen EinwohnerInnen mehr als doppelt so groß wie Berlin. Ankara kennen eigentlich alle, irgendwie, aber wer hat schon eine Vorstellung davon, wie es da aussieht?

Als Mustafa Kemal Atatürk die Stadt zur Hauptstadt machte, war sie mit ca. 30.000 EinwohnerInnen eine Kleinstadt. Seitdem wächst sie explosionsartig vor allem durch die immense Landflucht aus armen Regionen der Türkei. Die Bauern verkaufen ihren gesamten Besitz und gehen in die Großstadt, dort bauen sie über Nacht eine Behausung auf einem der zahllosen Hügel der Stadt und am nächsten Tag steht wieder ein neues illegales Haus, das nicht abgerissen werden darf. Bis an den Horizont sind Hütten auf den Hängen Ankaras zu sehen, und wenn es keine Hütten sind, sind es Hochhäuser, die überall wie Pilze aus dem Boden schießen. Besonders eindrucksvoll ist das Szenario bei Nacht, dann leuchten die Hügel. Mittendrin im Moloch steht die zentrale Moschee mit ihren vier Minaretten, die ebenfalls bei Nacht beleuchtet den "Zauber von 1001 Nacht" vermittelt, besonders dann, wenn das Tonband des Muezzin eingeschaltet ist.

Dem "Großen Atatürk" wird überall in der Stadt mit zahllosen Denkmälern aus Bronze gehuldigt. Sie erinnern im Stil an die sowjetischen Statuen Lenins und Stalins. Die Reiseleitung weist auf jedes Denkmal hin, besonders dasjenige, das den Staatsgründer in einer Gruppe Soldaten zeigt, zu denen auch eine Frau gehört, die schwer an einer Granate trägt, als Symbol dafür, dass auch die Frauen ihren Anteil an der Erneuerung hatten. Überhaupt die Frauen. Sie sollen auf den "europäischen Standard gehoben" werden, aber außer der Stadtbevölkerung, die nicht wegen Landflucht dort lebt, macht kaum eine mit (oder kaum eine darf?). Viele sind auch bei großer Hitze mit einem Mantel und Kopftuch bekleidet, der Ehemann geht im dünnen westlichen Hemd. Umso erstaunlicher ist es, dass die kleinen Mädchen meistens ohne diese "Ausrüstung" herumlaufen.

Bedeutendste Sehenswürdigkeit Ankaras ist in der Tat das Museum für anatolische Archäologie, für mich das schönste Museum der Welt. Schon das Gebäude selbst ist sehenswert, einst war es eine Karawanseray. Hier sind die wichtigsten Funde aus den bedeutendsten Orten Anatoliens zu sehen. Neben Alaça Höyük und Hattuscha sind es vor allem die 10.000 Jahre alten, originalen Wandfresken aus Çatal Höyük, ausgegraben in den sechziger Jahren, die gleich zu Beginn des Weges durch die Ausstellung die Aufmerksamkeit auf sich ziehen.
 


Hinweis: Die hier gezeigten Bilder, nicht die Karten, lassen sich zum besseren Betrachten anklicken.
 
Ein Wort mit vier ü: Tümülüsü, zu deutsch Tumulus

Nächstes Ausflugziel ist Gordion und das "Grab des König Midas", ein 50 m hoher Tumulus von 300 m Durchmesser. Die Grabkammer war noch unversehrt als der Tumulus von Archäologen geöffnet wurde. Zur Grabkammer führt heute ein ziemlich hässlicher Gang aus Beton. Im Inneren ist die gigantische Grabkonstruktion aus Wachholder oder Zedernholz zu sehen, vor den BesucherInnen durch ein Gitter geschützt. Die Bestattung eines ca. 60jährigen Mannes von 1,59 m Größe ist heute als Rekonstruktion in Ankara zu bewundern. Gordion war die Hauptstadt der Phrygier, die vor allem durch den Mythos der Großen Göttin Kybele und des Vegetationsgottes Attis, der auf zahlreichen Kunstwerken die typische "Schlumpfmütze" der Phrygier trägt, bekannt sind. Gordion ist berühmt durch den Gordischen Knoten, den Alexander der Große nicht aufknoten konnte und daher mit seinem Schwerter durchschlagen hat.
Die Reste Gordions lagen in einem Hügel unweit es Tumulus begraben, der allerdings jetzt zu großen Teilen ausgegraben ist. Zu sehen ist dort vor allem das große Stadttor.

 
Çatal Höyük - Endlich!

Karte von Anatolien - Catal Höyük - Konya

Für mich ist das Highlight der Reise und zugleich die älteste Fundstelle, die wir besuchen, natürlich Çatal Höyük. Die Konya-Ebene, in der der Siedlungshügel liegt, ist fünf Stunden Busfahrt von Ankara entfernt. Wir betreten den Ort von dem kleinen Museum aus, das Rekonstruktionen und Repliken der bedeutendsten Funde aus der Mellaart-Zeit zeigt. Ein kleines Lehmhaus ist den Originalfunden nachempfunden und zeigt sehr schön die Bauweise und die Größe eines typischen Wohnhauses. Weiter oben am Hügel befinden sich die Zelte, die die derzeitige Ausgrabung überdachen. Wir können hinein und laufen über Sandsäcke, die den Rand vor dem Abtreten schützen. Da stehen wir nun vor den 10.000 Jahre alten Mauerresten, und weil eigentlich niemand so recht weiß, wie bedeutungsvoll Çatal Höyük ist, halte ich einen kleinen Vortrag über Alter, Bauweise, Funde und natürlich die matrifokale Lebensweise, den ich mit den Worten beginne, dass hier der gefährlichste Ort der Welt sei.
Einige Fotos von allen Seiten und dann raus auf den Hügel, in der Hoffnung Einiges der Kulträume zu sehen. Doch der Wärter macht ein unmütiges Gesicht und klatscht in die Hände, um uns einer Schafherde gleich ins für ihn angenehmere Areal zu leiten, eben dem Museum, wo er sehr gerne Prospekte verkauft, dann aber wohl doch lieber seine Teepause macht als renitente Touristen von der Besichtigung abzuhalten. Wir gehorchen jedoch nicht, denn schließlich sind wir Tausende von Kilometern gereist, um ihn in seiner Gemütlichkeit zu stören. So gelingt es uns von dem Mellaart-Areal ein Foto zu machen, das einen katastrophalen Anblick bietet. Mellaart hat ein einem Flurschaden gleichkommendes riesiges Loch in den Hügel gerissen und ungeschützt zurückgelassen. Jetzt soll der Bereich durch eine Überdachung geschützt werden, die natürlich ein Betonfundament braucht! Es tut weh, diesen weihevollen Ort aufgerissen und betoniert zu sehen!
Der Wärter nervt immer noch, aber wir machen weiter Fotos von der Gesamtanlage und versuchen uns wenigstens einen groben Überblick zu verschaffen. Eine Umgehung des gesamten Hügels wird dann vom drängelnden Reiseleiter verhindert, denn schließlich müssen wir noch nach Konya. Noch schnell besuche ich den kleinen Laden, auf dem in großen Buchstaben "Çatal Höyük- Souvenirs" steht. Dort ergatterte ich die Replik der Großen Göttin auf dem Leopardenthron, nicht besonders gelungen, aber besser als nichts. Auf der Rückfahrt sehen wir gleich im nächsten Dorf die uralte Lehmarchitektur Çatal Höyüks, die sich bis heute erhalten hat, dort jetzt mit Hightech-Solaranlage für die Warmwasserbereitung auf dem Dach. Krasser könnte der Gegensatz nicht sein!
Eines ist jedenfalls klar, ich muss wieder nach Çatal Höyük kommen, aber dann lieber im April, wenn es noch nicht so heiß ist und die ArchäologInnen anwesend sind.

>> Referat über Çatal Höyük

Catal Höyük - Eingangsschild

Catal Höyük - Building 5

Catal Höyük - Mellaart-Area - Detail 1

Catal Höyük - Mellaart - Area - Detail 2

Catal Höyük - Rekonstruktion - Geierkult
Konya - Stadt der Baumärkte?

Im archäologischen Museum von Konya sind wir dann doch etwas enttäuscht. Viel kleiner als das von Ankara zeigt es aber wenigstens das, was ich schon aus dem Internet kannte. Aber immerhin sind dort viele Exponate aus der neueren Grabung von Çatal Höyük ausgestellt. Das einfach bestattete Skelett eines Babys, Gefäße und Werkzeuge aus Obsidian liegen neben anderen Funden aus anderen Siedlungshügeln, die in Anatolien sehr zahlreich sind. Wir haben nach dem Besuch des Museums noch ein bisschen Zeit, die Stadt Konya zu erkunden und kommen dabei durch ein Viertel von Läden, die eigentlich als Baumärkte bezeichnet werden müssen. Wirklich sehenswert, was sich alles als Schaufensterdekoration eignet. Wasserhähne, Dichtungen, Schläuche, Zementsäcke etc. Bleiben wir stehen, kommt sofort jemand gelaufen und glaubt, er könne uns eine dieser wunderschönen, rosengeblümten Kloschüsseln verkaufen. Wir lachen, denn das wäre doch ein nettes Mitbringsel! Ich werde von den Jungs angestarrt, schließlich laufen alle anderen Frauen tief verschleiert. In Konya ist das besonders ausgeprägt, denn hier ist ein religiöses Zentrum: Konya ist berühmt für die tanzenden Derwische. Atatürk ist deshalb auch nicht besonders beliebt, was dadurch zu Ausdruck gebracht ist, dass sein Denkmal in die falsche Richtung gedreht wurde.

 
Alaça Höyük, noch ein Siedlungshügel

Karte von Anatolien - Alaca Höyük - Hattuscha / Yasilikaya

Alaça Höyük klingt ähnlich, aber es ist viel jünger. Die Stadt scheint eine Kultstadt zu sein, denn wir betreten sie durch das berühmte Sphingen-Tor vorbei an einer monumentalen Mauer, welche das Relief einer religiösen Prozession trägt. Berühmt sind ebenfalls die FürstInnengräber im Zentrum der Anlage, welche niemals überbaut wurden, wahrscheinlich, um mittels des Ahnenkults die Legitimation der Herrschenden zu bestätigen. In den vollständig erhaltenen Gräbern fand die Archäologen Gold im Überfluss, welches heute in Ankara zu bewundern ist. Sowohl Frauen als auch Männer wurden hier bestattet, mit jeweils dem gleichen Reichtum und gleichberechtigt nebeneinander. Dies ist typisch für die hethitische Kultur, die beiden Geschlechtern gleiche Wichtigkeit einräumte.
 
Alaca Höyük - Sphingentor

Alaca Höyük - KönigInnengräber
Hattuscha, die Atemberaubende

Wir nähern uns Hattuscha, der Hauptstadt der Hethiter und es begrüßen uns zunächst merkwürdige Leiter-artige Strukturen aus Mauerresten, die sich die Felsen entlang erstrecken. Das können doch keine Gebäudereste sein, mit derartig welligen Fundamenten! Des Rätsels Lösung erfahren wir von Herrn Dr. Seeher vom Deutschen Archäologischen Institut. Er ist der Leiter dieser deutschen Traditionsgrabung, wie er sie nennt. Während seines lebendigen Vortrags zeigt er uns einen Kasten voll mit geschwärztem Getreide. Zig Tonnen (!) davon wurden jüngst in den Getreidelagern Hattuschas gefunden. Eine Sensation, denn das Getreide ist 3.500 Jahre alt und ist, zwar verkohlt, in phantastischem Zustand, es könnte auch von gestern sein. Gefunden wurde es in den seltsamen "Leitern", die also Speicher waren. Wahrscheinlich eine Brandkatastrophe vernichtete des Getreide, das für mehrere Jahre gereicht hätte. Mehr darüber gibt es beim Deutschen Archäologischen Institut. Weiter zeigte er uns ein Beispiel aus der experimentellen Archäologie. Seine Mitarbeiter demonstrierten an einer nachgebauten Bohrmaschine, wie die Hethiter Löcher in die Bausteine bohrten. Eine simple Holzkonstruktion, einfach aber genial. Ein Bronzerohr, das durch das Holz eingespannt ist, wird mittels eines Seils von zwei Leuten hin und her gedreht. Es dauert nur wenige Minuten, bis eine bereits beachtliche Tiefe erreicht ist.

Nach dem Vortrag fahren wir bergan, denn es ist steil in Hattuscha. Der Blick in die Ebene ist atemberaubend, genau wie die Topographie der ganzen Stadtanlage. Wir lernen dann auch Frau Seher kennen, eine türkische Archäologin, die uns die eigentliche aktuelle Ausgrabung in Hattuscha zeigt. Sie erzählt auch von den Arbeitern, die dort schon in der dritten Generation ausgraben und das besser machen als es StudentInnen tun würden, weil sie von Kleinauf die Technik von ihren Vätern lernen. Zur Zeit wird vor dem beeindruckend schönen Felsmassiv gegraben, welches den Platz dominiert und das als Nistplatz von Schmutzgeiern dient, die wir aber leider nicht zu Gesicht bekommen. Ein Erdrutsch in antiker Zeit hat die Fundamente der Häuser begraben, die nun wieder ans Tageslicht kommen. Sie dienten Holzhäusern als Unterbau. Hunderttausende von Scherben sind schon gefunden und werden im sogenannten Scherbengarten nach bestimmten Kriterien geordnet ausgelegt. Sie wollen sie tatsächlich wieder zusammenpuzzeln!
Wir fahren weiter bergan in die Oberstadt, von wo aus der Blick sich noch einmal selbst übertrifft. Wir besichtigen das berühmte Löwentor, von dessen parabelförmigen Bogen nur noch Reste, die Löwen dafür aber sehr schön erhalten sind. Schnell ein Foto gemacht und dann weiter zur Befestigung des letzten Königs von Hattuscha, am oberen Rand der Oberstadt. Wir betreten durch eine unscheinbare Öffnung einen dunklen schmalen Gang, der in der Fachsprache Poterne genannt wird. Sein Querschnitt ist ebenfalls parabelförmig, die Steine bilden das Gewölbe auf äußerst instabil wirkende Weise, dennoch hält es seit Jahrtausenden. Am anderen Ende befinden wir uns außerhalb der Stadt und erblicken den gewaltigen schrägen Wall, der relativ glatt "gepflastert" die Stadt vor Eindringlingen schützen sollte. Doch warum ließ der König diesen Gang einbauen, der für Feinde wie eine Einladung gewirkt haben muss? Da die ArchäologInnen das auch nicht wissen, machen wir ein Brainstorming. Wir fotografieren noch das Sphingen-Tor und fahren weiter zum Tor des Stadtgottes. Diesem fehlt irgendwie die Symmetrie, die die anderen Tore auszeichnet. Der Stadtgott steht fast da wie ein Ägypter, die andere Seite des Tores ist nur ein leerer Stein. Wir erfahren nicht, welche Theorie es dazu gibt, aber ich finde, dass der Stadtgott im gleichberechtigten Hethiterreich eine Stadtgöttin braucht! Ich stelle mich spiegelverkehrt auch etwas ägyptisch vor den leeren Stein und alle können ein Foto machen. Dann ist es Zeit aufzubrechen und vorbei an den Tempelruinen und den Ruinen des Königspalastes fahren wir weiter nach Yasilikaya.


Hattuscha - Dr. Seeher referiert

Hattuscha - Experimentelle Archäologie - ein Loch bohren

Hattuscha - Befestigung

Hattuscha - Löwentor

 
Yasilikaya, der "Hanging Rock" von Anatolien.

Im Felsheiligtum von Yasilikaya gehen merkwürdige Dinge vor. Einst stand hier noch ein großes Tempelgebäude vor dem Eingang in das Felslabyrinth. Jetzt betreten wir ungehindert den wirklich heilig wirkenden Platz, der von den HethiterInnen mit Unmengen von Reliefs versehen wurde. Auf Kopfhöhe sehen wir eine Prozession. Von links kommen die Götter, von rechts die Göttinnen und bewegen sich scheinbar auf ein riesiges, den Fels bedeckendes Relief, das eine Erklärung schuldig bleibt, warum der Hauptgott so dominant ist. Am Ende der verschlungenen Felsspalten betreten wir das Zentrum des Heiligtums. Zwei sich gegenüberliegende Felswände, die ins merkwürdig undefinierte Nichts führen. An den Wänden wieder Reliefs und in Kopfhöhe der berühmte Zwölfgötterstein und Nischen, die wohl der Opferung dienten. Unmöglich ein Foto zu machen, das alles aus dem optimalen Blickwinkel zeigt. Der Gang ist merkwürdig matschig, denn es ist schließlich Sommer und es brennt die Sonne herunter. Ich quetsche mich an die eine Wand, lehne mich umständlich über das Absperrseil, da kommt der eine Reiseleiter und macht eine göttinlästerliche Bemerkung. Ich mache mein Bild und will vorwärtsgehen, da stellt mir die Göttin ein Bein (oder war es der Gott?), und ich lande mit weißer Hose und weißem T-Shirt längs im Matsch. So schmutzig war ich mein ganzes Leben noch nicht! Zum Glück hatten wir grade das Hotel gewechselt und ich hatte meinen Koffer im Bus. Die Reiseleiter schenkten mir dann diese Augen aus Glas, die vor dem bösen Blick schützen sollen.

Yasilikaya - Relief

Yasilikaya - Zentrum des Heiligtums

Kappadokien, "bekannt aus der Radiowerbung".

Wirklich erstaunlich, dass diese Landschaft so vergleichsweise unbekannt ist! Die Felsen und Gesteinsformationen, die die Natur hier sicher mit einer guten Portion Humor gebildet hat, sind eigentlich unbeschreiblich. Erzählbar ist nur, dass die vulkanische Landschaft in extremer Weise verwittert ist, so dass, dem Grand Canyon gleich, die Schichten zutage treten, aber unterschiedlich schnell abgetragen wurden. Dabei entstanden u.a. Zuckerhüte, Häuschen, Mützen, Kamele, drei Grazien und allerlei "Phallussymbole". Faszinierend ist der Ort Göreme, wo auch zwischen den Häusern diese Gebilde herumstehen. Aber nicht nur zwischen den Häusern: Die Urchristen siedelten in dieser Gegend und gruben Höhlenwohnungen in das weiche Gestein. Teilweise abenteuerlich weit oben in den Felsen, mehrstöckig und auch unterirdisch in der sogenannten unterirdischen Stadt, die viele Stockwerke tief ist. Wir besichtigen zahllose Kirchen, hineingehauen in den Stein und mit uralter byzantinischer Bemalung verziert. Zunächst gegenständlich, dann abstrakt und schließlich wieder gegenständlich zeigen die "Fresken" die bewegte und nicht unfriedliche Geschichte der urchristlichen Malerei.

Der Nachmittag ist anfüllt von dem Zwangsprogramm der Reisegesellschaft, "der größten Türkischen", deren beide Reisebegleiter uns, wie es türkisches Gesetz ist, auf der Exkursion begleiteten. Der Besuch in einer "Teppichfabrik", vergleichbar einer Butterfahrt, ist mir einen detaillierten Bericht wert, der hier auf einer Extraseite zu finden ist. Eine derartige Veranstaltung boykottiere ich normalerweise, es war aber insofern interessant, als es einen Einblick in die türkische Gesellschaft bot, wie es von offizieller Seite nicht gesehen werden soll. Dass diese Veranstaltung aber das genaue Gegenteil der Wirklichkeit beweisen sollte, war doch allzu durchsichtig.  Wer genau hinhörte und schaute, merkte, dass hier gute Mine zum bösen Spiel gemacht wurde. Ich möchte diesen Bericht deshalb besonders empfehlen.

>> zur Extraseite "Teppichverkauf"



Kappadokien - Felsformationen

Kappadokien - eine Höhlenkirche

 
Der Nemrud Dagh, mehr als "1" Berg

Karte von Anatolien - Nemrud Dagh - Euphrat - Atatürk-Stausee

Nach zehnstündiger Busfahrt erreichen wir unser Hotel am Fuße des Nemrud Dagh. Nach kurzem Frischmachen werden wir in kleine Busse umgeladen, mit denen wir den Berg erklimmen werden. Eine uns drohende eineinhalbstündige Fahrt über eine Schotterpiste, die sich Hauptstraße nennt, erweist sich als atemberaubender Trip durch die Bergwelt Anatoliens mit unglaublicher Aussicht auf den Euphrat und den letzten kleinen, verträumten Dörfern. Es geht noch vorbei am modernsten Gebäude weit und breit, der Polizeistation. Dann kommt nur noch Gestein und Himmel. Der Tumulus auf dem Gipfel ist schon gut sichtbar und doch müssen wir noch viele Kurven fahren, bis wir am Platzplatz eine halbe Stunde Fußmarsch vom Gipfel entfernt, aussteigen können. Von da aus geht es steil bergan bis wir auf fast 2.200 Metern Höhe das Bergheiligtum erreichen. Es ist schon Abend und eigentlich wollten wir dort den Sonnenuntergang begießen, der dort besondern schön sein soll, aber leider schieben sich im vorletzten Moment Wolken dazwischen.

Der Nemrud Dagh gehört mit seinen Monumenten zum Weltkulturerbe und wird stets von Soldaten bewacht. Der ganze Berg ist in der Tat überwältigend! Über 2 m hohe Köpfe aus Stein stehen auf dem Boden. Sie gehören zu den Körpern, die teilweise wieder aufgerichtet symmetrisch eine Ost- und eine Westterrasse flankieren. Ein Kopf gehört der Göttin Kommagene, die dem Land Kommagene ihren Namen gab. Die anderen sind Oromasdes (Ahura Mazda), Artagenes, Mithras und König Antiochos.
Über allem erhebt sich immer noch über 50 m hoch der zweite, aber künstliche Berg, der Tumulus, mit dem Grab des König Antiochos. Ob wirklich ein Grab dort zu finden ist, lässt sich nicht sagen, es ist nur eine Vermutung. Wir umgehen den Tumulus und besichtigen auch die Westseite, wo außer den riesenhaften Figuren auch griechische Inschriften zu bewundern sind. Das ganze Szenario ist unglaublich ergreifend und es fällt schwer wieder zu gehen. Doch wir müssen vor der Dunkelheit wieder am Bus sein.



Nemrud Dagh mit Tumulus



Nemrud Dagh - Ostterrasse



Nemrud Dagh - Westterrasse


Gefäß aus Catal Höyük 2. Woche




Zunächst hatten wir noch türkische ReisebegleiterInnen, die uns an zwei Tagen fünf sehenswerte Orte zeigten. Der Rest der Woche war auf Wunsch einiger FABL-Mitglieder als "Badeurlaub in Kizkalesi" geplant. Nicht mehr vom Reisebus begleitet waren die Archäologie-Fans von da an auf die Dolmuschs angewiesen, eine Art Minibus-Taxis, die überall halten, wo es möglich ist, und nur 1 Million Mitfahrgebühr kosten. So gelang es uns, die ganze Woche über Ausflüge in die nähere Umgebung, die von Resten antiker Städte übersäht ist, zu unternehmen. Die folgende Karte zeigt das Gebiet, das wir dann erkundeten.

Karte von Anatolien - Tarsus - Silifke - Kizkalesi - Adana

Tarsus, vergangener Ruhm

Der Besuch der Stadt Tarsus ist kurz. Wir besichtigen die Grundmauern des Geburtshauses des Apostels Paulus und den Brunnen, der jedes Jahr zur Pilgerstätte wird. In der Altstadt sind die ältesten Häuser nur ca. 100 Jahre alt, dennoch zeugen sie von einem gewissen Reichtum, denn viele sind üppig verziert mit Holzschnitzereien und Schmiedeeisen. Zwei kleine Jungs bieten sich als Reiseführer an, doch wir lehnen ab. Sie wollen uns sogar von ihrem Snack abbeißen lassen, aber auch das überzeugt uns nicht. Schließlich lassen sie uns in Ruhe und wundern sich umschauend, dass ich mich für einen coolen Friseursalon interessiere, der bei uns schon 50 Jahre alt wäre.




Tarsus - Geburtshaus des Apostels Paulus

Tarsus - Pilgerbrunnen am Geburtshaus des Apostels Paulus

Tarsus - Altstadt - Gebäudedetail
Die Burg Silifke/Der Fluss Göksu/Stadt Silifke/Alltag türkischer Hausfrauen/Martyrium der Heiligen Thekla

Die Stadt Silifke liegt am Fluss Göksu (Kalykadnos), der in einem Delta ins Mittelmeer mündet. Hoch über der Stadt auf einem markanten Felsen liegt die Kreuzfahrerburg, die zumindest von außen noch recht gut erhalten ist. Innen werden wir mit betörendem Thymianduft begrüßt. Kräuter wachsen hier überall. Zwei Bauern sind damit beschäftigt auf Heugabeln Gestrüpp aus der Burg zu tragen. Ansonsten gleicht die Burg einem Schutthaufen, der in Deutschland niemals derart ungesichert herumliegen dürfte. Hier würde ein Schild aufgestellt mit dem Text: "Betreten verboten. Lebensgefahr." Denn die Burg hatte zahllose Gewölbe, die teilweise noch erhalten unter unseren Füßen verborgen sind. Dann und wann tut sich ein schwarzes, tiefes Loch auf, vor dem nichts warnt, und in dem eine erwachsene Person sicher spurlos verschwinden könnte. Egal, der Ort ist gerade richtig für eine Entdeckungstour, für die wir ein wenig Zeit haben.

Der Göksu fließt durch Silifke und wird, wie es von der Burg aus schön sichtbar ist, von mehreren Brücken überspannt, von denen eine römischen Ursprungs ist. Der Fluss kommt hier direkt aus den Bergen, wohin wir einen Abstecher machen, denn hier hier gibt es einen besonderen Ort. Ein relativ unspektakuläres Tal, in das wir schauen. Ein kunstloser Betonblock mit einer Schrifttafel, die daran erinnert, dass an dieser Stelle Barbarossa ertrunken ist. Er muss sich ziemlich ungeschickt angestellt haben, denn es gibt eigentlich nichts, was ausgerechnet hier einem Kaiser gefährlich werden könnte. Erstaunlich ist aber, dass die türkische Regierung zulässt, dass hier an ihn erinnert wird, denn immerhin hat er ja dem Land nur Krieg gebracht. Wir deuten es als einen Akt großer Toleranz und ausgeprägten Geschichtsbewusstseins.

Wir werden Silifke im Verlauf der Reise noch einmal besuchen, denn hier soll es einen tollen Markt geben...

Gedenkstätte am Sterbeort Friedrich Barbarossas

Blick auf den Göksu an der Gedenkstätte für Barbarossa

Blick auf Silifke von der Burg aus
Cennet/Cehennem - Wie unten so oben (frei nach Hermes Trismegistos).

Wir sind ganz erwartungsfroh, denn heute werden wir erst die Hölle sehen und haben dann Gelegenheit in den Himmel zu kommen. Der Weg zur Hölle ist gesäumt von Büschen und Bäumen, an denen Papiertaschentuchfetzen und anderer Müll befestigt sind. Sie stammen von Einheimischen, die glauben, dass ihnen Wünsche in Erfüllung gehen, wenn sie dies tun. Nur ein kurzer Weg, dann tut sich vor uns ein gewaltiger Schlund auf: Die Hölle ist ein über 100 m tiefes Loch halb überdacht von einer Tropfsteinhöhlendecke, die wie ein Maul mit furchtbaren Zähnen aussieht. Es heißt, dass das Hineinwerfen von Steinen ebenfalls Wünsche erfüllt, was ich dann auch gleich tue. Das Hinabsteigen ist nicht möglich. Einmal hätte es ein Forscher versucht, der das nicht überlebt hat. Abergläubische meinen, dass ihn dort unten ein Drache gefressen hätte. Ein mitreisender Fachmann erklärt uns, dass es sich hier um eine Einsturzdoline handelt. Die Landschaft an der Südküste ist überwiegend Karstgebiet, deshalb gibt es in der Tiefe Höhlen, die plötzlich einstürzen können. In Anlehnung an meinen Vortrag in Çatal Höyük postuliert er, dass in Wirklichkeit hier der gefährlichste Ort ist, denn jederzeit könnte es auch uns in die Tiefe reißen. Ich frage aber, was sind schon ein paar Touristen gegen eine ganze Gesellschaft?
Die Hölle ist wirklich klasse! Ist das noch zu toppen? Wir gehen einen kurzen Weg und kommen an den Rand des Himmels, den wir uns eigentlich irgendwie oben vorgestellt hatten. Auch der Himmel ist nur eine Einsturzdoline, allerdings viel breiter und heller und es dringt ein wunderbares, fremdartiges Gezwitscher aus der Tiefe empor. Es sind Kekliks, eine seltene Rebhuhnart, die wir hier hören. Der Keklik ist vom Aussterben bedroht, da er gerne gejagt wird. Trotz des Abschussverbotes hat sich der Bestand noch nicht erholt. Unten im Himmel sollen Reliefs aus frühchristlicher Zeit zu bewundern sein, aber vor dem Abstieg wird gewarnt, es sei sehr beschwerlich und ehrlich gesagt habe ich in der Mittagshitze auch keine Lust dazu. Nein, der Himmel ist nicht das Non-plus-Ultra.


Die Hölle

Der Himmel
Kanytelleis - nicht gerade christlich!

Noch eine Schlucht mit einem Relief sehen wir in der antiken Stadt Kanytelleis, heute Kanlidivane. Hier sollen sich grausame Szenen abgespielt haben. Angeblich wurden in Ungnade Gefallene in die Schlucht gestoßen, wo sie von den wilden Tieren zerrissen wurden. Schwacher Trost: Da unten ist sowieso niemand lebend angekommen! Wir laufen rund um das Loch herum, um das die Stadt erbaut wurde. Zwischen den Ruinen finden wir Gräber aus der Jetztzeit und kleine Mini-Felder, die im Hackbau bestellt werden. Jeder Quadratmeter wird hier genutzt. Das ist kein Einzelfall, denn die Unmengen antiker Reste sind der Landwirtschaft entlang der ganzen Küste sehr im Wege. Der Alltag hat die Ruinen längst integriert. Die Ruinen von Kanytelleis sind noch recht gut erhalten. Drei große Basiliken, die den Ort als frühchristlich ausweisen, sind besonders herausragend.

Kanytelleis - Schlucht mit Relief
Narlikuyu - Die 3 Grazien und der "Fisch aus Lutetia"

Der kleine Ort Narlikuyu hat etwas Besonderes zu bieten. Ein kleines Haus nahe am Wasser, zu dem wir uns "Zugang verschaffen" müssen, birgt ein Bodenmosaik aus römischer Zeit. Einst stand hier eine Villa, und diese Reste des Bades sind davon noch erhalten. Das Mosaik ist wirklich schön: Es zeigt die 3 Grazien aus der griechischen Mythologie, und wie uns ein mitreisender Fachmann erklärt, war der/die KünstlerIn ein/eine KönnerIn, denn die Körperformen, insbesondere des Gesäßes sind anatomisch richtig dargestellt, was eher selten ist.
Der Ort ist wirklich der ideale Platz für eine Villa, hier hätte ich auch gebaut!
Die kleine, hufeisenförmige Bucht mit glasklarem Wasser und malerischen Bötchen ist heute DAS Ausflugsziel für Einheimische. Das gesamte Ufer wird von Freiluft-Restaurants, die teilweise mit hübschen Strohdächern überdacht sind, gesäumt, und die allesamt Fisch auf dem Programm haben, der hier angeblich direkt aus dem Wasser geholt und gebraten wird. Das wollen wir uns nicht entgehen lassen und buchen das schönste Restaurant für einen der nächsten Abende. Das Essen ist dann eher eine Enttäuschung. Der Fisch ist trocken, wirkt nicht superfrisch und als Beilage gibt es nur Pommes. Den Salat traue ich mich sowieso nicht zu essen. Satt gemacht hat es immerhin und lustig wurde es auch.

 
Bucht von Narlikuyu
Diocaesarea
Olba
Silifke - Martyrium der Heiligen Thekla

Karte von Anatolien - Diocaesarea - Olba - Silifke

Noch ein letzter Ausflug, den wir privat organisieren, steht auf dem Programm. Das ist nicht ungefährlich, denn Reisegruppen müssen in der Türkei immer einen staatlich geprüften Reiseleiter dabei haben. Aber wir wollen abseits der touristischen Wege in die Berge fahren, wo jede Menge Ruinenstädte aus hellenistischer und frühchristlicher Zeit "einfach so herumstehen". Wir haben einen Dolmusch gemietet, versuchen uns unauffällig zu benehmen und hoffen, nicht der Polizei zu begegnen.

Erstes Ziel ist also Diocaesarea, der Ort, wo noch ein "richtiger griechischer Tempel" steht, mit aufrechten Säulen und gut erhaltenen Kapitellen. Die Kapitelle sind korinthischer Ordnung und gelten als die ältesten Bekannten ihrer Art überhaupt. Dies auf kleinasiatischem, nicht griechischem Boden! Ein paar Kilometer davor steht ein Turm mit einem tempelartigen Dach. Er soll ein Mausoleum sein, macht aber eher den Eindruck eines Wachturms, denn von hier aus lässt sich die ganze Gegend überblicken. Von hier sehen wir in der Ferne schon den Zeustempel von Diocaesarea.
Es hält uns deshalb nichts mehr und wir fahren gleich dorthin. Unsere Erwartungen bestätigen sich, es ist ein wirklich griechisch anmutender Ort. Der Zeustempel ist beeindruckend und besonders ist auch, dass später dort eine Basilika eingebaut wurde. Dahinter steht noch eine Moschee, so dass bei entsprechendem Blickwinkel drei Religionen auf einmal zu sehen sind. Ein weiterer Tempel mit aufrechten Säulen, aber etwas kleiner ist der Tyche-Tempel in dem eine Ziege und ihr Zicklein gemütlich Halme kauen. Unter einem Baum hocken zwei süße Kinder, die aus Stöckchen eine Hütte für ihrer Figuren gebaut haben. Sorgfältig decken sie das Dach mit Querhölzchen und darauf dann Blätter. Ich bin entzückt, die beiden erinnern mich an meine Kinder. Ich lobe ihr Häuschen und mache ein Foto. Nachdem wir das Gelände abgelaufen haben, nehmen wir Platz im "Arkanthus-Café", das dort neben der Kasse eingerichtet ist: eine romantische Laubhütte ausgepolstert mit Kissen und Kelims. Dort sitzt ein älterer Mann, der etwas vornehmer wirkt. Der Wirt erzählt, dass er schon Gerhard Schröder hier durchgeführt hätte und der Autor des wichtigsten Buches über Silifke sei. Er beantwortet in wortreichem Französisch ein paar Fragen. Viele von uns kaufen das Buch, das dort ausliegt und lassen sich noch eine Widmung ins Buch schreiben, dann müssen wir weiter.

Wir fahren nach Olba, das ganz in der Nähe liegt. Unterwegs kommen wir am Amphitheater vorbei, wo wir leider nicht anhalten, staunen dann aber Ohs und Ahs als wir zu dem großen Aquädukt kommen, das den Eingang des kleinen Tales überspannt, wo Olba gestanden hat. Ein trockenes, steiniges Flussbett durchzieht das schroffe Tälchen mit seinen steilen Felswänden, in denen wir Tempelgräber ausmachen. Wir kraxeln ein bisschen herum und stellen fest, dass nicht mehr viel übrig ist. Eine Bauernfamilie hat dort ihr Sommerlager aufgeschlagen: Eine Hütte aus Holzstangen und darüber gelegten Zeltplanen, sehr malerisch aber unglaublich ärmlich. Kinder wie Orgelpfeifen sitzen vor großen Blechschalen und öffnen Erbsenschoten. Daneben ist auf einer Plastikfolie eine rote Masse ausgebreitet, die wir als Tomatenmark identifizieren. Mit der ältesten Tochter kommen wir ins Gespräch. Sie erzählt, dass sie vierzehn Jahre alt ist und in die achte Klasse geht. Es sind noch Schulferien, sonst ginge sie zur Schule. Das Mädchen spricht ganz gut Englisch und scheint sehr intelligent zu sein. Sie bekommt von uns ein Wörterbuch geschenkt, vielleicht hilft ihr das ein bisschen auf dem Weg aus der Misere...
Schließlich fahren wir wieder Richtung Silifke, wo heute Markttag ist. Der Markt ist für mich sehr beschwerlich, denn ich muss die etwa 200 m lange Basarstrecke gebückt zurücklegen. Die Zeltplanen, die die Stände vor der Sonne schützen, sind mit Seilen quer über den Weg verspannt, so dass ich überall aufpassen muss, dass ich sie nicht in den Mund kriege: Ich bin hier weit und breit die Größte. Leider ist das Angebot nicht das, was ich mir unter einem Basar vorgestellt habe. In der ersten Hälfte bieten die Stände fast alle dasselbe Sammelsurium an Plastik, Ramsch und Schuluniformen an. Die zwei Hälfte ist der Gemüsemarkt, der allerdings durch sein Überangebot an frischem, extrem verlockendem Obst und Gemüse, Gewürzen und Süßigkeiten besticht. Leider bin ich nur Halbpensionstouristin und kann mit frischem Gemüse jetzt nichts anfangen. Die Stadt Silifke ist bekannt für den Löffeltanz und durch ihren Joghurt, der sehr fest und lecker sein soll. Die Optik ist dann allerdings nicht so verlockend und ein sensorischer Test eines Mitreisenden bestätigt den Eindruck. Den Joghurt finden wir dazu nicht einmal auf dem Markt, sondern in einem offenbar monopolistischen Geschäft der örtlichen Molkerei in der Innenstadt. Auf der Fahrt zum "Martyrium der heiligen Thekla", das oberhalb Silifkes bei einer Slum-artigen Siedlung liegt, kommen wir an einem Verkehrkreisel vorbei, der mit einem seltsamen, riesigen Pappmaché-Vogel geschmückt ist. Es ist wieder der Keklik, hier als Wahrzeichen der Stadt Silifke.
Der Mythos erzählt nach bekanntem Muster, dass die heilige Thekla Verfolgungen durch "wilde Männer" erdulden musste und sich angeblich zum Schutz vor ihnen unterirdisch einmauerte. Sie war die Gefährtin des Apostels Paulus, ging jedoch bald eigene Wege. Dort angekommen finden wir die Überreste einer Basilika und den Eingang in das unterirdische Heiligtum. Nur noch winzige vereinzelte Mosaiksteinchen in Türkis verraten, dass die unterirdische Kirche einmal prachtvoll ausgeschmückt war. Der Ort war lange eine wichtige PilgerInnenstätte. Jetzt sehen wir nur noch ein sich in erbärmlichen Zustand befindliches Gewölbe und eine Glasvitrine mit dem kitschigen "Portrait" der Heiligen Thekla. Es ranken sich viele Deutungen um ihr Schicksal, aber wir vermuten, dass hier ein noch viel älteres Höhlenheiligtum der Großen Göttin war, das später christlich überformt wurde. Vielleicht war der Mythos Heilige Thekla nur die Erinnerung an die Hohepriesterin, die hier gemeuchelt wurde. Wieder am Tageslicht begießen wir daher die Reste der Basilika mit Rotwein.
 
Diocaesarea - Blick vom Mausoleum

Diocaesarea - Zeustempel

Diocaesarea - Tychetempel

Häuschen

Die Baumeisterinnen
Kizkalesi - Mädchenburg/Vaterburg/Bettenburg

In Kizkalesi übernachten wir die ganze zweite Woche und unternehmen von dort die eben beschriebenen, riskanten Ausflüge. Das einfache Strandhotel versprach Zimmer mit Burgblick, wir sehen aber nur die Bettenburg nebenan, denn in der Türkei gibt es ein merkwürdiges Gesetz, das vorschreibt, dass alle Häuser längs und nicht quer zum Strand stehen müssen. Keines der Zimmer hat deshalb Seeblick, stattdessen ist vom einzigen Fenster am Ende des krankhausähnlichen Flures das Meer samt Mädchenburg zu sehen. Auch sonst tun sie in diesem Hotel eigentlich alles, um die Gäste zu verprellen, denn leider fehlt der Krankenhausatmosphäre die zugehörige Hygiene. Vom Schlaf, den wir nach der anstrengenden ersten Woche dringend nötig haben, bekommen wir auch nicht viel, denn die Einheimischen pflegen bis nachts um halb drei zu feiern. Danach ist eine halbe Stunde Schlaf möglich. Ab drei lassen die Touristenbusse, die nachts zum Flughafen Adana abfahren, ihre Motoren halbstundenlang warmlaufen und zwar unter unseren Fenstern in der schmalen Gasse zwischen den Bettenburgen. Ursache für diesen Misstand ist wieder das besagte Gesetz. Für den Rest der Nacht versuchen statt des Meeresrauschens die Motoren der Klimaanlagen, die jeden Balkon zieren, uns in den Schlafen zu summen. Schade, dass das Frühstück ab 10 schon wieder abgeräumt wird...
Das Meer ist sehr warm: 30°C. Ich strecke einen Zeh hinein und beschließe, mich unter der Dusche zu erfrischen. So bleibt es beim Blick auf die Mädchenburg vom Strand aus, um die sich eine traurige Geschichte rankt. Der König der Vaterburg erfuhr von einer Wahrsagerin, dass seine Tochter von einer Schlange getötet werden würde. Also ließ er 300 m vor dem Strand die Burg ins Wasser bauen, wo er sie einschloss. Doch eine Obstschale, die als Geschenk auf die Burg gebracht wurde, diente einer Schlange als Versteck. Das Unglück nahm seinen Lauf. Wieder eine dieser Geschichten, wo schöne junge Frauen nicht alt werden dürfen...
Der Besuch der Vaterburg ist lohnend, denn von hier aus geht der Blick an der Bucht entlang und die Mädchenburg ist aus dieser Perspektive noch schöner. Wir finden hohe Türme und Mauern, deren Baumaterial vor allem die Reste der antiken Stadt Korykos oberhalb von Kizkalesi sind. Säulenquerschnitte verzieren die Mauern mit einem Punktmuster. Wer weiß, welche Kunstschätze wohl im Inneren der Mauern verborgen liegen?
 

Abreise

Am Ende der Reise verlassen wir Kizkalesi natürlich nachts um drei. Ein gutes Beispiel türkischer Vetternwirtschaft (Hotelmanager setzt Busfahrer unter Druck, damit wir etwas bezahlen, was wir nicht bekamen) verzögert noch kurz die Abfahrt, aber dann geht es nach Adana zum Flughafen durch die langsam aufwachende Küstenregion.

Fazit

Es war insgesamt eine wunderschöne Reise, auf die ich niemals hätte verzichten wollen: Eine große Horizonterweiterung und Erbauung! Es ist eigentlich ein Muss für alle, die über die Türkei reden, dorthin zu fahren und sich ein eigenes Bild zu machen. Zu viele Berichte über die Türkei verzerren die Wirklichkeit oder malen ein zu schlechtes Bild. Die Kritikfähigkeit sollte deshalb keinesfalls zu Hause bleiben. Spannend wird es, hinter die Kulissen zu schauen und auch unbequeme Fragen zu stellen.
Anatolien ist kulturell wichtiger als es viele glauben. Große als griechisch bekannte DenkerInnen, z.B. Homer, stammen in Wirklichkeit aus Anatolien und schließlich ist hier die Wiege unserer Kultur seit ihren frühesten Anfängen, wie z. B. Çatal Höyük.

Der September ist ein guter Monat für eine Besteigung des Nemrud Dagh, weil die Temperaturen oben auf dem Berg dann erträglich sind. Auch Hattuscha ist bei großer Hitze gut zu machen, denn das meiste wird mit dem Bus angefahren. Çatal Höyük werde ich wieder besuchen, das ist klar, allerdings werde ich dann den März oder April bevorzugen und vor allem eine Zeit, wo die Ausgrabung stattfindet.

Einen Badeurlaub schon oder erst im September kann ich nicht empfehlen, denn das Wasser ist einfach noch viel zu aufgeheizt (30°C). Von den Strandhotels ist nicht zu viel erwarten, doch zum Glück ist der Mensch nicht nur ein Gewohnheitstier sondern auch anpassungsfähig. Trotzdem, unser Hotel verdiente die Bezeichnung "unterste Kategorie" und war doch dort das Beste vor Ort! Immerhin war das Essen gut. Anders die Hotels im Landesinneren, hier gab es gutes Essen und gute Zimmer, teilweise mit wunderschönen Ausblicken. Die Fahrten waren teilweise sehr lang (bis 10 Stunden), es wurden aber genug Pausen gemacht und an jeder Straßenecke gab es große Wasserflaschen zu kaufen.

Gefäß aus Catal Höyük

 



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