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Der Wurmberg ist mit 971 m der vierthöchste Berg des Harzes und wegen
seiner Steilhänge sportlich sehr interessant. Hier findet alljährlich
auf der Skisprungschanze ein Springen des Continentalcups statt, zu dem
Tausende zu Fuß oder mit der Seilbahn auf den Berg kommen. Die
Seilbahnstation liegt oberhalb des Sprungturms fast schon auf dem
Gipfel. Auf dem Weg zum Sprungturm kommen die Besucher an einem
Verbotsschild vorbei, das auf eine archäologische Ausgrabung aufmerksam
macht.
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Lageplan zum Vergrößern anklicken |
Der Gipfel
des Wurmberges bei Braunlage im Harz beherbergt eine auf den ersten
Blick sehr alt wirkende, eindeutig von Menschenhand angelegte
Steinformation: Einen Steinkreis, wie von Druiden gebaut, und einen
langen Steinweg, der einer Prozessionsstraße gleich darauf zuführt und
mit einer rätselhaften Steintreppe endet, die im Volksmund
"Hexentreppe" genannt wird. Viele glauben, dass dieser Platz
in der Steinzeit angelegt wurde. Andere vermuten dort einen "Kraftort",
einen heiligen Platz.
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Blick vom Gipfel nach Nordosten
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Berühmt ist der Harz für den Hexenglauben. So sollen sich auf dem mit
1141 m höchsten Berg Brocken, in der Walpurgisnacht die Hexen versammeln.
Ein weiterer
sagenumwobener Ort ist der Hexentanzplatz bei Thale, der folglich zum
Brocken, was das Hexentanzen angeht, in Konkurrenz steht. Es liegt daher
nahe, überall im Harz an exponierten Stellen "Hexenplätze"
zu lokalisieren. |
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Im Jahre 1856 veröffentlichte der Märchenforscher Heinrich Pröhle in dem
Buch "Harzsagen" eine kurze Textskizze zum Wormsberg, wie der
Wurmberg damals genannt wurde. Einheimische erzählten ihm, dass
sich auf dem Berg ein Heidentempel befunden hätte. Er hielt die
Geschichte für eine uralte Überlieferung und zeichnete sie auf. So
geschah es auch, dass später die Steinkreissetzung auf dem Gipfel des
Wurmberges für eine prähistorische Kultstätte und eine terrassenförmige
Steinformation für eine "Heidentreppe" gehalten wurde, die später
"Hexentreppe" genannt wurde.
[Textskizze siehe Spalte rechts] |
Text Nr. 232 aus HARZSAGEN von Heinrich Pröhle, 1856
"Der Wormsberg bei Braunlage
An der östlichen Seite des
Wormsberges, der etwa dreiviertel Stunde
von Braunlage nach dem Brocken zu lieget und nächst dem Brocken
der höchste Gipfel dort ist, gehet eine Treppe von hingelegten Ackersteinen
hinauf. Auf der Spitze des Berges fand man nach 1850 zuerst das
Signal von der neuesten Harzvermessung, daran vorbei führete jener
steinerne Weg zu einem Steinhaufen. Diese Steine sollen jeder zwei bis
drei Fuß groß und so hoch wie eine Stube übereinandergeschichtet
sein.
Es wurde mir erzählet, daß dort ein heidnischer Tempel gewesen
wäre, zu dem jener Steinweg den Berg hinangeführt habe." |
Doch es gibt Menschen, die nicht nur glauben, sondern wissen wollen,
ob etwas an der Sache dran ist und ihrauch auf den Grund gehen dürfen.
In den fünfziger Jahren wurde eine erste archäologische Grabung unter
der
Leitung von
Dr. Walter
Nowothnig durchgeführt. Er hoffte, durch Funde
diese Sage als Tatsachenbericht untermauern zu können, ähnlich wie es
Heinrich Schliemann in Troja tat. Bei der Grabung freigelegte
quadratische Mauerreste in Mitten des kreisrunden Steinwalles deutete
er als Fundamente des Heidentempels. Auch die Hexentreppe, an die ein
langer Steinweg anschließt und auf den Kreis hinzuführt, sollte ihm
zufolge zu der Anlage gehören. Das Wesentliche, nämlich eine Datierung,
war ihm jedoch nicht möglich. Daher blieb die Deutung der Funde im
Bereich
der Spekulation
und des Hexenglaubens.
Im Jahre 1951 wurde die Sprungschanze in großen Stil umgebaut. Natürlich
zogen die Skispringer den Unmut des Archäologen auf sich. Sein Versuch
den
Umbau
zu verhindern, scheiterte jedoch. Dem Sport wurde die größere
Bedeutung beigemessen. Nowothnigs Befunde konnten die Politik nicht
überzeugen. Mit seinem Tod im Jahre 1971 wurde dann die Grabung
beendet. Heute steht ein Gedenkstein am Rande des Geländes, der an ihn
erinnert. |
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Blick von der Südwestseite auf den Gipfel |
Die
Haupttriebfeder der ArchäologInnen ist Neugier. Die aber kann gefährlich
werden, wenn sich die Archäologie mit der Überprüfung alter
Sagen
oder Glaubensinhalte beschäftigt. Das war auch die Tragik Nowothnigs.
Schliemann dagegen hatte das seltene Glück gehabt, einer Wahrheit auf
der Spur zu sein.
Seinerzeit
haben jedoch
nur wenige an die Existenz Trojas geglaubt, zu sagenhaft war ja
auch das riesige Holzpferd. Doch auch Schliemann konnte den Mythos,
die Story, die sich in Troja abgespielt haben soll, nicht
mit Funden belegen, selbst das Holzpferd hat er nicht gefunden.
Hätte Schliemann Troja nicht entdeckt,
würden Andere danach suchen, so wie immer noch der Rheinschatz gesucht
wird und viele nicht aufhören wollen zu glauben, dass es ihn geben
könnte. Alles Menschen, die von dem kribbeligen
Gefühl der Ungewissheit fasziniert sind, die
sich
dadurch
glücklich fühlen,
dass
sie suchen!
Wahrscheinlich werden sie nicht glücklich, wenn sie gefunden haben,
denn dann gibt es nichts mehr zum Suchen. Und wahrscheinlich wollen
sie nur das finden, was ihre Träume bestätigt, denn die Ernüchterung
wäre
grausam.
Archäologie ist eine echte BeREICHerung für Menschen, die vorher
nichts wussten und nichts glaubten oder solche, die zweifeln. Daher "lohnt" sich
Archäologie. Nur deshalb wird sie staatlich gefördert, so auch zu Zeiten
Nowothnigs. Staatlich angestellte ArchäologInnen bekommen ihr Geld
aber nicht dafür, dass sie glücklich sind, sondern die Geldgeber wollen
Fakten sehen.
Materiell verwertbare Ergebnisse steigern den Wert alter Steine noch
einmal und Sensationen sind wie eine Jobgarantie für ArchäologInnen.
Für diejenigen, die nur glauben oder glauben wollen, ist die Archäologie
ein
gefährliches Pflaster.
Gemeint ist die mögliche Entzauberung unserer Welt durch zu viel Wissen,
durch zu viel Neugier. Wer dies fürchtet, sollte jetzt nicht weiterlesen!
Im Allgemeinen scheint es vier Kategorien von Fundorten zu geben:
1.
Die, die
mehr oder weniger zufällig gefunden und zu einer verwertbaren Sensation
werden. Dann
2.
die, die schon bekannt sind, aber unausgegraben bleiben,
weil kein Grabungsbedarf besteht (so der terminus technicus), oder
3.
diejenigen, die im Wege sind und daher oft für unbedeutend erklärt
werden sollen, und schließlich
4.
die, die zwar bekannt und auffällig,
aber nicht zu deuten sind. Das sind insbesondere Naturwunder.
Zu ihnen gibt es naturgemäß eine Menge Spekulationen und eine mehr
oder weniger alte Sage mystifiziert den Ort.
Er
wird
meist, so lange nichts Gegenteiliges bekannt wird, auch von ArchäologInnen
als
Kultplatz angesprochen. Oft lässt sich damit für Nicht-Archäologen
ein Geschäft (mit dem Glauben) machen. Diese Orte bleiben dann unberührt
und niemand traut sich, an dem Mythos zu rütteln. Es gäbe auch
niemand Geld dafür.
Im Besonderen ist der Wurmberg mit seiner seit den Fünfziger Jahren
so bezeichneten "prähistorischen Kultstätte" eine Mischform
der beiden Kategorien 3 und 4 und war offenbar kaufmännisch derart
uninteressant, dass bereits 1922 gleich daneben die Skisprungschanze
errichtet wurde. Schließlich gab es schon genügend Hexenplätze im
Harz und mit diesem spektakulären Sport ließ sich zusätzlich eine
Menge Geld verdienen.
Und trotz der schmalen Befunde der Fünfziger Jahre gelang es, für
eine neue Grabung auf dem Wurmberg ab 1999 Geld zu ordern. Sie sollte
mit moderneren Methoden Klarheit über das Alter der Anlage bringen,
denn das Alter war der Schlüssel zu Deutung. Dr. Michael Geschwinde
und
Martin Oppermann hielten im Jahr 2001 beim archäologischen
Förderverein FABL in Wolfenbüttel einen äußerst lebendigen
Vortrag mit dem Titel Die Steinanlagen auf dem Wurmberg nach
den neuen Untersuchungen 1999 und 2000, mit dem sie die Ergebnisse
ihrer Untersuchung vorstellten. Im Nachfolgenden seien sie zusammengefasst:
Im Jahre 1820 hatte ein gewisser Förster mit Namen Daubert auf dem
Gipfel des Wurmberges eine massive Hütte errichtet, die er 1840 schon
wieder
abriss. Die Fundamente blieben übrig und bilden noch heute die
quadratische Formation. Geschwinde schilderte lebhaft, dass der Förster
und seine Tochter offensichtlich sehr lebenslustig waren. Ihre Gelage
kamen den Einheimischen offenbar wie heidnisches Treiben vor. Die
vermeintlich uralte Sage war also gerade einmal rund 170 Jahre alt!
Auch für den Steinkreis gibt es eine nüchterne Erklärung: 1890 wurde
ein
8,4 m hoher sogenannter Trigonometrischer Messturm errichtet, der
mit Baumstämmen abgestützt wurde, deren Widerlager die im Kreis gelegten
Steine waren. Ein Archivfoto, das erst jetzt wieder "ausgegraben" wurde,
belegt den Turm. Erstaunlich ist, dass sich 1950 niemand mehr an
den Turm erinnert hat, obwohl er erst ungefähr
1930 abgerissen wurde.
[Zu den Türmen siehe Spalte rechts]
Auch der lange Steinweg, der an die Hexentreppe anschließt, konnte
ziemlich genau datiert werden. Ein englischer Hosenknopf von ca.
1800 wurde unter
den Steinen gefunden. Er gehörte, so vermuten die Experten, eben
jenem Förster. Damit ist der
Weg auch nur ca. 200 Jahre alt. Die Hexentreppe jedoch ist eine natürliche
Felsformation, die das Ergebnis von Erosion sein kann. Einzig ihr
billigt Dr. Geschwinde ein "mystisches Geheimnis" zu. Soweit
die Zusammenfassung.
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Türme auf dem Wurmberg
Der Wurmberg war immer wieder für Türme aller Art der bevorzugte Standort.
Das von Heinrich Pröhle erwähnte "Signal von der neuesten Harzvermessung",
das wohl 1850 errichtet wurde, war vermutlich der erste Turm auf dem
Wurmberg. 1890 folgte der Trigonometrische Messturm. Im Jahre 1972
errichtete die US Army an der Flanke des Berges einen 81 Meter hohen
Turm, an den seit 1994 nur noch einige Betonreste erinnern. Seitdem
bildet der 1922 gebaute Sprungturm das alleinige Wahrzeichen des Wurmberges.

Zeitungsartikel zur Grabung 1999/2000
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Aus der prähistorischen Kultstätte wurde damit über Nacht ein
Abrissgrundstück aus dem 19. Jahrhundert. Es bleiben Fragen offen,
die nicht mit Archäologie zu beantworten sind. Wird die "Kultstätte" jetzt
abgerissen und eine an sich schon spannende Zeitgeschichte ihrer
greifbaren Beweise beraubt? Welche Spekulationen würden sich in Zukunft
um die dann verbliebenen Akten ranken? Dr. Geschwinde kann in diesen
Punkten beruhigen: Der Wurmberg-Gipfel wurde 2003
aufgrund seiner einzigartigen Spuren menschlicher Nutzung des Oberharzes
in der frühen Neuzeit (Die Lebensbäume, das Geheege, s. Spalte rechts)
zum bislang einzigen Grabungsschutzgebiet im Regierungsbezirk Braunschweig
ausgewiesen. Damit ist eine Überbauung ausgeschlossen.
Zugegeben, mir wäre eine echte Kultstätte auch lieber
gewesen, aber wir haben eine neue Story, die nicht weniger spannend
ist. Haben wir es vielleicht sogar mit einem nie
angezeigten Verbrechen zu tun, dessen Spuren der Förster mit dem hastigen
Abriss seiner Hütte verwischte?
EPILOG (2012)
Es bleiben dennoch der Name "Wurmberg" bzw. "Wormsberg" und
die eigenartige Steinformation, die "Hexentreppe", die
wir in kulturhistorischen Zusammenhang bringen können.
Das althochdeutsche
Wort lintworm, "Lindwurm" bedeutet "Drachen" (Wortteil lint =
Schlange). In Mythen und Legenden und der bildenden Kunst werden Drachen
meist
als
feuerspeiende, geflügelte Schlangen dargestellt, die in Höhlen wohnen.
Als
Lindstein (vgl. Flintstein = Feuerstein) wurde
im Bergbau
das
oberflächennahe, sog. Morasterz bezeichnet, das in Sümpfen durch Ablagerung
entstanden war. Das glutflüssige Eisen wurde lintwurm genannt.
Tatsächlich lebten die Menschen im Harz vom Abbau von Eisenerz, Silber
und Kupfer.
Drachen
werden im Mythos getötet, weil sie angeblich die herrschende Macht
bedrohen oder weil man ihrer Schätze, Erze und Edelsteine, habhaft
werden will.
Dem
Drachen
werden auch Menschenopfer dargebracht, meist eine Prinzessin oder Jungfrau. Auch
hier kann ein Zusammenhang mit dem Bergbau hergestellt werden, der
in alter Zeit viele Menschen das Leben gekostet hat.
Der Drache
ist jedoch,
wie auch die Alte Hexe im Märchen, niemand anderes als die
dämonisierte Muttergöttin heidnischer Zeiten, die besonders in
Höhlen oder auf Bergen verehrt wurde. Auf ihren Gipfeln waren oft
heilige Haine angelegt oder Findlinge als Muttersitze aufgestellt,
die
heute häufig "Teufelssitz" genannt werden, so im keltischen
Raum. Aus dem Bauch der Mutter Erde wurde in der
Vorstellung
alles Leben
geboren und es kehrte dahin zurück.
Die glutflüssige
Hölle,
die Höhle und der Name der germanischen Muttergöttin Holle gehen alle
auf
den
gleichen
Ursprung zurück. Frau
Holle im Märchen ist diese germanische Muttergöttin, die ursprünglich
eine Tochter (Gold- und Pechmarie) hatte. Diese Tochter
wird in der Legende zur Prinzessin, die der matrilineare Drache (die
Muttergöttin) zurückfordert. Der Drachentöter ist kein Held, sondern
ein patrilinear denkender Muttermörder.
Stand der Wurmberg also in uralter Zeit für die Tochter und der Brocken für die
Mutter?
Dass in der Volksüberlieferung
all diese archetypischen Bilder trotz des vorherrschenden Christentums
bis heute mit schöner
Regelmäßigkeit mit entsprechenden Orten in Verbindung gebracht werden,
spricht dafür,
dass diese Orte
schon
immer
eine sakrale, mütterliche
Bedeutung hatten.
Wir haben auf der einen Seite die archäologischen und geologischen
Fakten, auf der anderen Seite die Folklore und die kulturhistorischen
Zusammenhänge,
die als geistige Fundgrube ebenso wichtig sind. Beide gegeneinander
auszuspielen,
wäre
keine seriöse
Annäherung
an die Wahrheit.
UPDATE: 12. April 2018
Auf der zwischenzeitlich baufälligen gewordenen Schanze fand 2010 der letzte
Wettbewerb statt. 2014 wurde sie abgerissen. Nun soll der Wurmberg einen neuen 30m hohen Aussichtsturm erhalten (geplant für Herbst 2018): Link zum NDR.
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Das
Geheege: Große kreisförmige Wallanlage auf der Spitze des
Nordplateaus. Es diente wohl zur Aufzucht von höhentauglichen Kiefern nach dem großen
Windbruch um 1800.
Die Lebensbäume: Vielleicht gehen die zwei Exemplare der Baumart
Tuja an dem Weg, der hinter der Zentralanlage auf das untere Plateau
führt, auf die Experimentier- freudigkeit der damaligen Förster zurück.
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© Gabriele
Uhlmann |
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